Friedensgruppe Lüdenscheid

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Erinnerungen an Stalingrad


In nicht mit Worten zu schildernder Apokalypse endete vor 60 Jahren die Schlacht um Stalingrad.
40.000 Bewohner der Stadt starben im Bombenhagel und Granatfeuer der Deutschen.
Zehntausende junger, hoffnungsvoller deutscher Soldaten wurden dort verbrecherischen, wahnwitzigen Eroberungsplänen sinnlos geopfert!

Um die Jahreswende waren die Brotrationen von 200 auf 100 Gramm täglich gekürzt worden. Am 1. Januar meldete der Gesundheitsdienst die ersten Todesfälle durch Verhungern.
Die Armeeführung hielt sich starr an den Befehl Hitlers, der einen Ausbruch verboten hatte. Entgegen ihrer Einsicht brachten die Generäle nicht den Mut auf, diesen Wahnsinnsbefehl zu ignorieren. Generäle, die vom jüngsten Rekruten verlangten, zu jeder Minute, übermüdet und ausgehungert, bei ständig andauernden Kämpfen, zum Sterben bereit zu sein und wenn einer zögerte oder die Nerven verlor, ihn unweigerlich sofort erschießen zu lassen. Solche hoch dekorierten, von "Verantwortung tragen" redenden Generäle brachten es nicht fertig, einen Ausbruch zu befehlen und für solch einen Befehl die Konsequenzen zu tragen, so aber einen großen Teil der ihnen anvertrauten Soldaten zu retten.
In den Stäben und Befehlsbunkern hatte man auch mehr zum Überleben, Verpflegung und Wärme, sah so die wirklichen Zustände nicht oder wollte sie einfach nicht sehen. So gab es für den Transport von Akten noch Treibstoff, für die Panzer und Verwundetentransporte nicht mehr.
Die wenigen, die das Inferno überlebt haben, die vor dem Ende ausgeflogen worden sind oder aus der Gefangenschaft heimkehrten, haben uns die Wahrheit berichtet.

Am 8. Januar boten sowjetische Parlamentäre die ehrenvolle Kapitulation an. Die Führung der Armee lehnte das Angebot ab. Am nächsten Tag erfolgte ein starker Angriff, der die deutschen Truppen weiter zurückdrängte.

Die Eingeschlossenen befanden sich in einer aussichtslosen Lage. Ein Entsatzangriff war gescheitert.
Der Schnee bildete immer mehr kleine Hügel über den zugewehten Leichen der an Hunger, Kälte, Krankheit und Verwundung Gestorbenen. Die Armeeführung hat nicht einmal den Versuch unternommen, die unzähligen Verwundeten, denen man kaum noch ärztliche Hilfe zuteil werden lassen konnte, und die in ungeheizten Räumen oder gar draußen im Schneesturm lagen, auch nur zum Teil unter Einschaltung des Internationalen Roten Kreuzes an die Rote Armee zu übergeben. Eine rechtzeitige, ordnungsmäßige Übergabe hätte noch manchen Verwundeten retten können.
Zu den äußerst harten Kriegsbedingungen kam noch hinzu, daß Verwundete, die nicht mehr fähig waren, sich selbst fortzubewegen, nicht mehr geborgen werden konnten, sondern in ihren Schneelöchern erfroren, noch gehfähige Verwundete in den Kampf gejagt wurden, an halb Verhungerte 50 Gramm Brot oder eine dünne Wassersuppe ausgegeben wurde, um sie anschließend wieder ,einzusetzen".
In den letzten Kampftagen, als die Reste der Armee schon lange in Agonie lagen, zeigte deren Führung ihr wahres Gesicht, das des wahnsinnigen deutschen, menschenverachtenden Militarismus: Es wurde angeordnet, an sogenannte ,,Nichtkämpfer" d. h .Kranke und Schwerverwundete (!) keine Verpflegung mehr auszugeben. Genau so brutal wie man gegen den Gegner und seine Zivilbevölkerung vorgegangen war, verhielt man sich nun gegenüber den eigenen Soldaten, die man vorher noch im Wehrmachtsbericht hoch gelobt und mit Auszeichnungen geehrt hatte.

Man muß sich heute, rückblickend, darüber klar sein, welche Leute das waren, die diese Jugend in das maßlose Elend geführt haben. Es waren in erster Linie die Nationalisten, die schon vor und im 1.Weltkrieg gefordert hatten, Luxemburg, Ostbelgien mit Lüttich und Antwerpen, die Rheinmündung, Calais und die britischen Kanalinseln in das Deutsche Reich einzugliedern. Die, die im Osten Finnland, die drei baltischen Länder, Ostpolen, die Ukraine, die Krim und die russischen Erdölgebiete entweder zum Reichsgebiet zuschlagen oder aber als deutsche Vasallenstaaten einrichten wollten und auch in Übersee große Kolonialreiche beanspruchten. Es waren weiter die, die den Naziparolen vom "Volk ohne Raum" aufgesessen waren. Die Nazis wollten ja im Osten "Lebensraum" für die Deutschen schaffen. Dazu war geplant worden und so wurde es auch durchgeführt (!): Die Dezimierung der einheimischen Bevölkerung, die Abschiebung einzelner Bevölkerungsteile weiter in Richtung Osten, die Vernichtung der polnischen Oberschicht, die Ermordung von Millionen Juden.

Von den 270.000 Soldaten im Kessel waren 35.000 verwundet oder schwerkrank, von der Luftwaffe ausgeflogen worden. Beinahe zwei Drittel der Mannschaften und die Hälfte der Offiziere waren umgekommen, der größte Teil in den letzten zwanzig Tagen der Schlacht. 91.000 Soldaten, fast alle halb verhungert, völlig erschöpft und krank, kamen in Gefangenschaft. Unter ihnen 2.500 Offiziere und 24 Generäle. Im Mai 1945 lebten nur noch etwa 5.000 bis 6.000 Gefangene, von den 24 Generälen kamen 23 zurück, einer starb an Magenkrebs.
Der Stab der 6. Armee soll nur für sich kapituliert haben, nicht für die gesamte Armee.

Aus dem Buch eines Teilnehmers der Schlacht, Joachim Wider: "Stalingrad und die Verantwortung des Soldaten" zitiere ich:
"...Gerade die wenigen Überlebenden der mörderischen Schlacht, die durch die entfesselte Hölle gegangen sind, haben die Pflicht, den alten falschen, verderblichen Ruhmesschimmer des Krieges zornig dem Soldatischen für immer zu entreißen und schonungslos die ganze Furchtbarkeit des blutigsten Menschenhandwerks zu enthüllen. Das Vermächtnis der Toten werden wir erfüllen, wenn wir alle uns zur Verfügung stehenden Kräfte aufbieten zur Entzauberung und Ächtung des Krieges, damit sich niemals wieder so Menschenunwürdiges abspielen kann wie während der grausigen Vernichtungsschlacht an der Wolga.
Dazu gehört auch die geistige Bewältigung der Macht und ihrer dämonischen Versuchungen. Wir müssen heute unermüdlich bestrebt sein, die ernsten Verpflichtungen einzulösen, die uns die Gefallenen aller Völker hinterlassen haben. Dabei geht es um die Verwirklichung einer besseren Ordnung der menschlichen Beziehungen überhaupt, um ein Handeln in gemeinsamer Verantwortung über die alten Freund-Feind-Verhältnisse zwischen den Nationen hinweg. In diesem Sinne sollte die Erinnerung an Stalingrad als Mahnmal zur Selbstbesinnung und Umkehr in unsere Geschichte eingehen....
Meine Erinnerungen an die Tragödie von Stalingrad bedeuten einen nachträglichen, aber gültig bleibenden leidenschaftlichen Protest gegen jede so maßlose Entartung, Erniedrigung und Schändung des Menschenbildes, wie wir sie an der Wolga erleben mußten, und gegen die Vergewaltigung des menschlichen Wesens überhaupt, wie sie jeder totalitäre Krieg mit sich bringt. Die Hoffnung, das Gedächtnis der Toten und ihr Vermächtnis lebendig zu halten, hat mich bestimmt, diese ursprünglich nur für einen engeren Kreis gedachten Aufzeichnungen nach Jahren nun doch zu veröffentlichen. Möchten sie zu der Erkenntnis beitragen, daß wahnhaftes, bestes Heldentum nicht im Dienste der Zerstörung gesucht werden darf, sondern nur lebendig und fruchtbar sein kann ohne materielle und geistige Mordwaffen, in allen Werken der Liebe, des Friedens und der Menschlichkeit!"

Was haben wir in der Bundesrepublik aus diesem Desaster gelernt? Offensichtlich fast nichts! Wir setzten nicht nach dem guten Beispiel Österreichs auf Neutralität und Verständigung, sondern begannen wieder einmal mit Konfrontation und Aufrüstung!

So konnte ein General der Bundeswehr, der nicht in Stalingrad dabei war (er war im Oberkommando der Wehrmacht tätig), wieder den alten verlogenen Spruch "Dulce et decorum est pro patria mori", "süß und ehrenvoll ist es für das Vaterland zu sterben" gebrauchen.
Wohl zu dessen großem Leidwesen hat diesem General ein mißgünstiges Schicksal das hehre Ziel, solch einen süßen Tod zu sterben, verwehrt. Es hat ihn vielmehr dazu verdammt, von seiner gewiß nicht knappen Pension gut bis ins hohe Alter zu leben.

Wenn wir heute die Mahnungen und Lehren aus der Stalingrader Schlacht ernst nehmen, müssen wir uns gegen jede Art von Krieg und Expansion, einerlei von welcher Seite, wehren, indem wir vehement bei unseren Verantwortlichen Protest gegen jede Art von Krieg erheben und sie an ihre Pflichten und ihre Verantwortung für den Frieden erinnern!

Dieter Hohaus sen.

18.01.2003


Updated: Fri Jun 25 09:57:16 2004