Deutschland führt wieder Krieg. Heute ist der erste Weltfriedenstag seit dem zweiten Weltkrieg, an dem deutsche Soldaten wieder kämpfen und töten. Darüber wird Hermann Morisse gleich sprechen. Meine Gedanken gelten der Erinnerung an das, was war. Im Zweiten Weltkrieg verlor ich einen zwanzigjährigen Onkel und eine dreißigjährige Tante. Der Onkel wurde über England abgeschossen und gilt seitdem als vermisst. Die Tante wurde bei einer Eisenbahnfahrt nach Köln von Jagdfliegern erschossen. Die Gräber von beiden gibt es nicht mehr. Hier auf Hühnersiepen gibt es zum Glück noch die Erinnerung an die Barbarei der Nationalsozialisten und ihres Weltkriegs. Heute möchte ich über die große Zahl der Verbrechen informieren, die hier im Namen der Nationalsozialisten von Mitbürgern begangen wurden.
1.Ohne die Zerschlagung der freien Gewerkschaften wären keine Arbeitserziehungslager entstanden. Am 2. Mai 1933 beschlagnahmte die Sturmabteilung der NSDAP - die SA - das Gewerkschaftshaus am Rathausplatz, inhaftierte den Geschäftsführer Willi Bürger und andere Mitglieder und kassierte das Vermögen der freien Gewerkschaften. Die neu geschaffene Arbeitsfront der NSDAP unterwarf die Arbeiter den Interessen der Staatspartei und der Unternehmer. 1935 wurde die Pflicht zum Arbeitsdienst für fast alle eingeführt. Er wurde "Ehrendienst für das Volk" genannt, von dem Juden, Sinti und Roma ausgeschlossen waren. In den Arbeitslagern wurden junge Menschen im Geist des Nationalsozialismus zum Gehorsam und zur Anpassung an das menschenverachtende Denken erzogen. In den Baracken der Baustelle für die Versetalsperre in Hunswinkel fanden zeitweise auch Arbeitsdienstlager statt. 1939 wurde die Dienstpflicht für alle eingeführt. Hierdurch konnten der Staat und die Unternehmen Arbeiter zu Mehrarbeit verpflichten und einen Wechsel der Arbeitsstelle verbieten. Mit dem Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurden die Arbeitsnormen erhöht und Ärzte angewiesen, weniger Arbeiter krank zu schreiben. Dagegen wehrten sich Menschen. Um sie mundtot zu machen und um sie der staatlichen Disziplin zu unterwerfen wurden ca. 100 eigenständige und ca. 100 betriebsinterne Arbeitserziehungslager in Deutschland von der Arbeitsfront und den deutschen Unternehmen errichtet. In der Einrichtung der Arbeitserziehungslager trafen sich die Interessen von Militär und Wirtschaft, da sie eine kurzfristige, aber trotzdem scharfe und nachhaltig abschreckende Disziplinierung widersetzlicher Arbeitskräfte ermöglichten, ohne die Deliquenten für immer an die großen Konzentrationslager (unter der Leitung der SS) zu verlieren (Bethold/Lotfi 1990, S.38) Alle Arbeiten mussten im Laufschritt verrichtet werden, was trotz der großen Anstrengung befolgt wurde, weil immer Schläge drohten. In der Regel wurde 12 Stunden lang gearbeitet. Nach den russischen waren die deutschen Zivilarbeiter die zweitgrößte Gruppe der Häftlinge und Todesopfer im Arbeitzserziehungslager Hunswinkel. Der Name Russenfriedhof ist deshalb teilweise falsch, weil hier Zivilisten aus Deutschland und mindestens sieben Nachbarstaaten Opfer der nationalsozialistischen Gewalt wurden.
Zwei Fragen stellen sich hier:
Hätte mehr Widerstand gegen die Auflösung der freien Gewerkschaften und gegen die totalitäre Arbeitspflicht etwas gegen den Kriegswillen erreichen können? Gibt es heute in der Welt genug Solidarität der Arbeiter gegen die Entrechtung und Unterdrückung?
2. Schon ab 1933 profitierte Lüdenscheid von Rüstungsaufträgen. Denn die Aufrüstung und später die Kriegsvorbereitung wurde zum zentralen politischen Ziel der Nationalsozialisten. Nur wenige stellten sich gegen die Koalition von Staat, Partei, Militär und Wirtschaft, obwohl immer mehr Unternehmen sich den staatlichen Anforderungen beugen und Kriegswaren herstellen mussten, wobei sehr gute Gewinne erzielt wurden. Auch in Lüdenscheid wurde der Protest weniger Bürger gegen die hemmungslose Aufrüstung von Industrie und Staat durch Inhaftierung und Exekutionen unterdrückt, die zum Kriegsende auch im Arbeitserziehungslager Hunswinkel durchgeführt wurden.
3. Das dritte schwere Verbrechen, das in Hunswinkel begangen wurde, ist die Verschleppung und Deportation der Zivilbevölkerung besonders aus Rußland und Polen, aber auch aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Italien und anderen besetzten Staaten. Die Nürnberger Prozesse haben die Zwangsrekrutierung von ca. 10 Millionen Fremdarbeiter als eines von fünf schweren Verbrechen gegen das bestehende internationale Völkerrecht abgeurteilt. In das Lager Hunswinkel wurden die Zivilarbeiter eingewiesen, die aus Verzweiflung oder überlegt Kritik an ihrem Schicksal übten, protestierten oder auch die Arbeit verweigerten. Viele wurden durch die unmenschlichen Bedingungen des Lagers und seine Wachmannschaft ermordet. Die Kombination von Hunger, Überanstrengung, Schwerstarbeit, Schlägen und Verletzungen war mörderisch.
Zwei Fragen stellen sich hier: Es gab Arbeitserziehungslager mit nur wenigen Toten. In Hunswinkel kamen ca. 10 % der ungefähr 5000 Inhaftierten durch die barbarische Behandlung ums Leben. Hätten die Lüdenscheider und die Dortmunder, die den größten Teil des Lagerpersonals bildeten, nicht weniger brutal sein können? Was tun wir heute dafür, dass Gefangene in der Welt menschlich behandelt werden?
4. In Hunswinkel fand auch ein Teil der Tötung von Juden statt. Mehrere Dutzend Juden wurden hier 1945 eingewiesen und mindestens zwei fanden hier den Tod.
Viele Lüdenscheider haben von der Enteignung , der Deportation und der Vernichtung der Juden profitiert. Kein Lüdenscheider hat einen Juden vor dem Transport in ein Vernichtungslager versteckt.
Drei Fragen stellen sich hier:
Warum war es damals - im Gegensatz zu anderen Städten - in Lüdenscheid nicht möglich, Juden zu verstecken?
Hätten wir heute den Mut, einen Flüchtling, der abgeschoben werden soll, obwohl wir mit ihm um sein Leben fürchten, vor der Polizei zu verstecken?
Warum schweigen wir über die ethnischen Säuberungen - also die Zwangsumsiedlungen - unter den Augen der NATO-Soldaten in Bosnien, in Makedonien und im Kosovo?
5. In Hunswinkel wurden Menschen systematisch misshandelt und gefoltert. Das belegen die Aussagen von ehemaligen deutschen Häftlingen in Gerichtsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg: "Misshandlungen sind in Hunswinkel an der Tagesordnung gewesen. Man hatte sich auch besondere Schikanen auserdacht. So gab es auch eine Dunkelkammer, die so klein war, dass nur ein Mensch darin knapp stehen konnte. Auch Duschräume gab es, in denen Häftlinge durch Wechselbäder bestraft worden sind. Die Misshandlungen begannen schon, als wir in Hunswinkel eingeliefert wurden. Als Begrüßung wurden wir gejagt. Ein Polizeioffizier schlug uns mit einer Peitsche ins Gesicht."
Zwei Fragen bleiben hier:
Warum konnten Menschenschinder so uneingeschränkt tätig sein?
Warum wehren sich nicht mehr Menschen heute im Zeitalter von Internet, Handy und Fernsehen gegen ähnliche Menschenrechtsverletzungen in vielen Ländern der Welt?
6. Warum erinnern wir uns an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors und Krieges?
In Lüdenscheid zählen wir ca. 1 900 gefallene Soldaten, 550 Todesopfer des Lagers Hunswinkel, mehr als 100 verstorbene oder getötete Zwangsarbeiter in den Fabriklagern der Stadt, 51 ermordete behinderte Lüdenscheider, 30 ermordete jüdische Lüdenscheider und ca. 10 Lüdenscheider, die als Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter Widerstand leisteten und getötet wurden. Der 1. Sonntag im September ist uns wichtig, da die Erinnerung an den Terror und den Krieg uns zur Wachsamkeit und zum Handeln gegen Kriegsvorbereitung, Kriegseinsätze und Unmenschlichkeit aufrufen. Es ist gut, dass es den arbeitsfreien Sonntag gibt, den wir dem Christentum und dem Judentum zu verdanken haben, um über unser Tun an den Werktagen nachzudenken. Es ist schlecht, dass sich nach dem Zweiten Weltkrieg bis heute hier kein christlicher Pfarrer hat blicken lassen. Wo aber sollten Christen und Demokraten sich mehr engagieren als dort, wo das Leben und die Würde der Menschen in Gefahr sind. Und sie sind in jedem Krieg am meisten gefährdet. Deswegen stehen wir hier und erinnern uns, um für die Gegenwart die richtigen Entscheidungen zu suchen.
Lasst uns eine Minute lang an die Opfer des Zweiten Weltkriegs und an die deutschen Soldaten und die von ihnen erschossenen Menschen in Afghanistan denken.
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