Friedensgruppe Lüdenscheid

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Justiz im Faschimus - Vortrag und Besuch der Wanderausstellung "Justiz und Nationalsozialismus" im Hagener Landgericht.

Mitglieder des Bündnisses für Toleranz und Zivilcourage - gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit hatten eigens eine sachkundige Führung organisiert. Ursprünglich war die Veranstaltung speziell für die Lüdenscheider Ratsmitglieder terminiert gewesen, aber eine kurzfristig angesetzte Hauptausschusssitzung wurde von ihnen höher priorisiert. So führte Dr. Holger Schlüter, Leiter der "Dokumentationsstelle Justiz und Nationalsozialismus" in Recklinghausen, nur ein gutes Dutzend interessierter Bürger aus Lüdenscheid, darunter viele Mitglieder der Friedensgruppe, durch die Ausstellung, dies allerdings sehr kompetent.

Wanderausstellung Justiv und Nationalismus im Hagener Landgericht


Die Ausstellung ist in der Tat beeindruckend, legt sie doch schonungslos die bedingungslose Unterordnung der deutschen Justiz insgesamt unter die Nazis bloß. Unterwürfige Ergebenheitsadressen an die Nazis durch die Standesorganisationen und massenhafte Eintritte in die NSDAP im ersten Halbjahr 1933 waren die ersten Symptome. In der Folgezeit wurde schnell klar, dass Richter und Staatsanwälte nicht nur jeden Rechtsbruch der Nazis deckten, jedes noch so terroristische und rechtswidrige Gesetz anwandten, sondern in der Auslegung und den Urteilen regelmäßig sogar noch freiwillig über das geforderte Maß an Härte und Verschärfung gegen Nazigegner und andere Angeklagte vorgingen. Das ging so weit, dass der systematische 100000fache Mord an Behinderten und Epileptikern - die sog. Euthanasie - stillschweigend geduldet wurde und die Anweisung des Justizministers, Anzeigen wegen dieser Morde nicht zu bearbeiten und zu unterdrücken, willig umgesetzt wurde. Widerstand kam praktisch nicht vor, auch nicht gegen die Vernichtung der Juden in den KZ, die spätestens seit 1941 allgemein bekannt war.

Jeder Verstoß gegen jeden Rechtsgrundsatz - so z.B. die rückwirkende Aufhebung oder Wirksamkeit von Gesetzen - wurde bedenkenlos mitgetragen. Im Laufe der Zeit wurde für fast jedes Delikt die Todesstrafe möglich. und sie wurde gnadenlos verhängt. Im Gegensatz zur Kaiserzeit und auch zu vergleichbaren europäischen Staaten wurden die hundertfache Zahl an Todesurteilen gefällt und vollstreckt (gut 22.000 allein aus zivilen Strafprozessen, ohne Militärgerichtsbarkeit). Dazu konnte schon eine spöttische Bemerkung über Nazigrößen oder ein einfacher Diebstahl reichen, besonders die Sondergerichte spielten hier eine mörderische Rolle.

Ein weiteres Merkmal des Richterverhaltens wurde der Grundsatz, nicht mehr die Tat zu bestrafen, sondern vielmehr das Täterprofil, eine unterstellte Absicht oder eine vermeintliche Gesinnung, was besonders in Fällen, wo eine "staatsfeindliche" oder "volksschädliche" Haltung des Angeklagten unterstellt wurde, die Opfer fast völlig entrechtete. Mit der Begründung "Volksschädling" konnten auch Tatbestände oder Paragraphen, die zu Gunsten des Angeklagten sprachen, einfach igrnoriert werden. Noch brutaler und verbrecherischer waren die Sondergesetze, z.B. gegen Polen, die eine völlige Entrechtung eines ganzen Personenkreises zum Gesetz machten. Auch hier konnten für Nichtigkeiten, etwa das Betteln um Brot oder "unbotmäßiges Verhalten", Todesurteile verhängt werden.

Selbst wenn ein Freispruch erfolgte, war die Gefahr noch nicht vorbei. Oft genug wurde der Freigesprochene erneut von der Polizei verhaftet, anschließend gefoltert und oft genug ermordet. Diese Polizei"gerichtsbarkeit" wurde ergänzt durch willkürliche Verschleppung in "Schutzhaft", sprich Konzentrationslager, durch die Gestapo, ohne jede Rechtsgrundlage. Auch hierzu schwieg die Justiz, schlimmer noch, sie ließ sich in einen Konkurrenzkampf drängen, in dem sie lieber selbst verschärftes Unrecht sprach als sich von der Polizei oder der Gestapo den Schneid abkaufen zu lassen.

Die aus dem Publikum mit Fassungslosigkeit gestellte Frage, wie es denn kommen konnte, dass ein ganzer Berufsstand, der doch Recht und Gesetz in seinem Berufsethos sozusagen verkörpert und gerade zur ganz strengen Einhaltung der Rechtstraditionen und der Gerechtigkeit verpflichtet war, so unglaublich versagt hätte, fand auch Dr. Schlüter keine wirklich überzeugende Antwort. Natürlich sei es eine Tatsache, dass praktisch die gesamte Justiz nach der Machtergreifung der Nazis gar nicht umdenken musste, war sie doch schon immer ganz und gar von undemokratischem, nationalistischem, militaristischem, antisemitischem und antikommunistischem Geist durchdrungen gewesen. Auch aus der Weimarer Republik sei es ja bekannt, dass rechte Gesinnung geschont, aber linke erbarmungslos verfolgt und verurteilt wurde. Diese Tradition konnten die Richter und Staatsanwälte bruchlos fortführen. Außerdem müsse man bedenken, dass die Richter auch nicht besser waren als der Durchschnitt der restlichen Bevölkerung.

Nach dem Ende des Krieges wurden einige wenige der kompromittiertesten und höchstrangigen Juristen aus dem Dienst entfernt oder begingen Selbstmord. Aber eine Entfernung aller Juristen, die dem Nazi-System treu gedient hatten, so wie es in der SBZ konsequent durchgeführt wurde, das konnten und wollten sich die neuen (und alten) Machthaber in den Westzonen nicht erlauben, brauchte man sie doch bald wieder für eine erneute antidemokratische Verfolgung von Kriegsgegnern, Demokraten und Kommunisten im beginnenden Kalten Krieg. Im Gegenteil: Der Schutz der Täter im Talar durch ihre Standesgenossen führte dazu, dass alle Verfahren gegen Richter mit den aberwitzigsten Begründungen niedergeschlagen wurden: Meistens wurde so argumentiert, dass ein Richter, der wegen verbrecherischer Urteile angeklagt war, damals die Rechtswidrigkeit seiner Untaten angeblich nicht hätte erkennen können. Das führte dazu, dass die Richterschaft, von denen zu Ende des Krieges ca. 80% NSDAP-Mitglieder gewesen waren, im Jahre 1947 immer noch zu 70% aus ehemaligen Nazi-PG bestand.

In der anschließenden Diskussion im Saal des Landgerichts wurde auch die Rolle der Justiz heute beleuchtet. Ist sie heute wirklich unabhängig von der herrschenden Politik oder ist sie nach wie vor ein Instrument der Durchsetzung der jeweiligen Herrschaftsansprüche? Hat sie aus ihrer Vergangenheit, ihren Fehlern gelernt? Die Antworten darauf waren sehr kontrovers. Klar, heutige Juristen sind in einer Demokratie großgeworden. Aber schützt das vor erneuter Anpasserei?

Natürlich kann man mit dem historischen Abstand von 50 Jahren die früheren Fehler ruhig zugeben, schließlich sind die Täter ja tot und die Opfer auch. Aber wie sieht es aus mit den Fehlern aus jüngerer Zeit? Beispiele: die Berufsverbote für Linke, bei denen auch in der Bundesrepublik in schlechtester Tradition der Nazis meistens nicht Straftaten beurteilt, sondern eine Gesinnung verurteilt wurde? Oder das KPD-Verbot, dessen Verfahren ein einziger ununterbrochener Verstoß gegen die Strafprozessordnung war? Oder die gegenwärtigen Weigerung der Justiz, Anzeigen gegen die Bundesregierung wegen Vorbereitung und Durchführung eines verfassungs- und völkerrechtswidrigen Angriffskrieges zu verfolgen? Oder die verfassungswidrige Praxis des Bundesverfassungsgerichtes, Nazi-Aufmärsche zu genehmigen? Hier wird die Rolle der Justiz im Verhältnis zur Politik sehr deutlich.

Alles in allen war es eine sehr lehrreiche Veranstaltung, die sowohl die Möglichkeiten einer Aufarbeitung der Justizgeschichte als auch ihre Grenzen deutlich gemacht hat. Wachsamkeit ist von uns gefordert.


Updated: Fri Jun 25 09:57:16 2004